Die gegenwärtige Stärke des Uranischen ist auch gleichzeitig die Schwäche des Saturn. Überschnelle Veränderungen führen zu einem Verlust von Tradition, Kultur und sozialem Zusammenhalt.
Wir haben letztens wieder den Film „Zeugin der Anklage“ mit Charles Laughton und Marlene Dietrich gesehen. Der Film von 1957 ist einer der Gerichtsklassiker überhaupt. Ich war wieder eingefangen von den Persönlichkeiten, die diese Rollen spielten. Laughton und Dietrich sind bestimmt nicht durch irgendein windiges Casting zu der Klasse gelangt, die sie in vielen ihrer Filme verkörpern. Die Schauspieler legen eine Haltung, Ernsthaftigkeit und Tiefe an den Tag, die heute kaum mehr zu finden ist. Und das, obwohl wir heute mehr Schauspieler haben denn je …
Es ist die pure Freude, der Logik der Handlung und einer Sprache zu folgen, die keiner Anglizismen bedarf und auch mit so manchem rhetorischen Leckerbissen aufwartet.
Sehnsucht nach Saturn
Aber wo ist die Haltung, die saturnische Würde, ja der „royale Stolz“ geblieben?
Uranus ohne sein Gegenstück den Saturn, neigt dazu, aus der Fassung zu springen und fordert u.a. Freiheit ohne Grenzen und luftige Unverbindlichkeit. Wir sehen Verantwortliche im Lande, die ihren Standpunkt innerhalb weniger Tage relativieren, ja revidieren. Merken sie nicht, dass sie sich durch ihre Relativiererei selbst überflüssig machen?
Es ist der uralte, prometheische Kampf zwischen den Kräften des Saturn und des Uranus. Zwischen der Festigkeit und dem Beharren gegenüber der Freude an unverbindlicher Veränderung und Inspiration. Diese kann alles hinwegfegen, was noch Form hatte und ist oft selbst noch nicht in irgendeiner Form erkennbar.
Uranische Zeiten – wie geht es eigentlich dem Saturn in dir?
Zur Schwächung des Saturnischen in Deutschland hat meiner Meinung nach auch die Abdankung des letzten Kaisers Wilhelm II und vor allem seines Sohnes Kronprinz Wilhelm von Preußen beigetragen. Der Abdankung folgte eine Entwertung aller bisherigen Werte, einschließlich der des Geldes (Inflation). Vor allem der Kronprinz hätte als monarchische Symbolfigur eine wichtige Rolle in der Weimarer Republik spielen und eine gesellschaftliche Klammer sein können.
Was das Ende der Monarchie 1918 für die Deutschen bedeutete, kann man heute wohl kaum mehr erahnen, mündete aber in die Ereignisse von 1933: der Sehnsucht nach “Ordnung”. Ist der „uranische Schock“ von vor 100 Jahren im Jahre 2022 wirklich überwunden?